Gar nicht auf dem Holzweg

Das australische Architekturstudio Hassell hat mit seiner Nachverdichtung in Holz einen wertvollen Beitrag für die Macquarie University geleistet – architektonisch, praktisch und thematisch. Entstanden ist eine juristische Fakultät mit Innovation und Geschichte.

Wallumettagal – ein Name, voll mit Historie, mit Tradition, mit Kultur. Die australischen Wallumettagal waren ein Stamm der australischen Ureinwohner aus dem Gebiet des heutigen Sydney – mit knapp fünf Millionen Einwohnern die größte Stadt Australiens. 

Gang zu den Seminarräumen
Das Holz als Hauptelement verleiht dem Universitätsgebäude eine ruhige Atmosphäre.

Kulturelles Erbe

Im Norden der Metropole befindet sich die Macquarie University, die mit ihrem Hauptcampus Bezug auf das kulturelle Erbe der australischen Ureinwohner nimmt und 2022 in Wallumattagal Campus umbenannt wurde. Vor wenigen Jahren schuf man mit dem Macquarie University Incubator einen preisgekrönten Holzbau, der als Pilotprojekt zeigt, wie sich Energie und Ressourcen auf allen Ebenen einsparen lassen. Als nun am selben Standort das Michael Kirby Building offiziell eröffnet wurde, hatte man im modernen Holzbau also schon wertvolle Erfahrungen gesammelt.

Der Entwurf für das neue Unigebäude stammt vom Architekturbüro Hassell, das 1938 in Australien gegründet wurde und heute weitere Standorte in China, Singapur, den USA und Großbritannien betreibt. Auf 8.600 Quadratmetern Nutzfläche befinden sich hier, wo einst ein Verwaltungsgebäude mit lediglich zwei Stockwerken stand, nun die juristische Fakultät und der Fachbereich Philosophie. Die Nachverdichtung erfolgte in klimafreundlicher Holzbauweise und setzte auf den Betonbau zwei weitere Geschosse auf.

skulpturale Wendeltreppe
Die skulpturale Wendeltreppe als Hingucker im Atrium des Michael Kirby Building.

Holz als Favorit

Die neuen Seminar- und Lehrräume sind um das Bestandsgebäude herum angeordnet. Der ehemalige Hof des einstigen Verwaltungsbaus wurde in ein lichtdurchflutetes Atrium verwandelt, das jetzt den zentralen Kern der juristischen Fakultät bildet. Im Fokus des großzügigen Raumgefüges steht die skulpturale Wendeltreppe, die die beiden obersten Stockwerke erschließt. Im gesamten Gebäude ist Holz jenes bestimmende Element, das der Fakultät eine ruhige und offene Atmosphäre verleiht. 

Wie aufeinander gestapelte Holzkästen ragen verglaste Besprechungsräume ins Atrium hinein und betonen dabei die Skelettbauweise des Tragwerks. Die Konstruktion fungiert als Platzhalter der einzelnen Raumelemente und schafft eine Art Setzkasten in Lebensgröße, der bis unter die Decke reicht. Die verglaste Atriumdecke sorgt für einen natürlichen Lichteintrag ins Gebäude und öffnet den Blick nach oben. „Dieser freie Blick in den Himmel war ein wesentliches Gestaltungselement, er verbindet die Innenräume mit dem Bäumkronen draußen. Und er trägt zum Gefühl von Offenheit, Wärme und Zusammengehörigkeit am Campus bei“, so Kevin Lloyd, Chef-Designer des Sydney-Büros von Hassell und Hauptverantwortlicher des Projekts Michael Kirby Building.

Universitäts Fassade
Die Metallrippen setzen einen Kontrast zur Glasfassade der juridischen Fakultät.

Innovation durch Natürlichkeit

Holz und Glas ergänzen sich im Gebäude perfekt. Während Holz atmosphärische Wärme und Sicherheit vermittelt, sorgt Glas für Transparenz im Inneren und schafft eine Verbindung zum Außenraum. „Das Gefühl von räumlicher Offenheit spiegelt auch die transparenten, demokratischen und nicht-hierarchischen Werte der juristischen Fakultät wider“, so Lloyd.

Als Kontrast dazu entschied sich Hassell für breite Metallrippen an der Fassade, die das Gebäude vor der Sonne schützen. Auf dem Dach des Uni-Baus wurden Photovoltaikmodule installiert, die den Stromhaushalt für den Gebäudebetrieb unterstützen. 

Der freie Blick in den Himmel war ein wesentliches Gestaltungselement, er trägt zu einem Gefühl von Offenheit, Wärme und Zusammengehörigkeit am Campus bei.

Kevin Lloyd, Chef-Designer bei Hassell und Hauptverantwortlicher des Projekts Michael Kirby Building.

Dem Namensgeber gerecht

Eine regelrechter Hingucker im Michael Kirby Building ist der kreisrunde Lehr-Gerichtssaal. Er ragt aus dem Gebäude heraus und scheint regelrecht über dem Eingang zu schweben. Dabei ist nicht nur die architektonische Beschaffenheit etwas Besonderes. Denn hier finden alle Platz: Kläger, Beklagte, Richter, Anwälte und Zuhörer – wie in einem echten Gerichtsaal. Etwas, das es dieser Form in kaum einer anderen Universität gibt.

Lehr-Gerichtssaal
Der universitätseigene Übungs-Gerichtssaal – eine Besonderheiten der Fakultät.

Die juristische Fakultät auf dem Wallumattagal Campus gilt als eines der größten Holzgebäude in Australien, Fünf-Sterne-Bewertung des Green Building Council of Australia inklusive. Man darf annehmen, dass auch der Namensgeber mit „seinem“ Gebäude zufrieden ist. Michael Kirby, Jahrgang 1939, prägte nicht nur als Höchstrichter das australische Rechtssystem; als Vorsitzender einer Untersuchungskommission des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen zeichnete er für die offizielle Verurteilung von Menschenrechtsverletzungen in Nordkorea mitverantwortlich.

Text: Eva Schroeder, Michi Reichelt
Bilder: Hassell

In Albert Einsteins Fußstapfen

Das Europäische Forschungszentrum für Kern- und Teilchenphysik erforscht den Aufbau der Materie. Eine Erkenntnis ist gesichert: Das neue Forschungszentrum CERN B777 von Henning Larsen wird rund sein und großteils aus Holz bestehen.

Am 30. Juni 1905 veröffentlichte Albert Einstein seine Theorie der Speziellen Relativitätstheorie. Sie erklärt den Zusammenhang zwischen Zeit und Raum in der berühmten Gleichung E = mc². Seither konnten am Centre Européen pour la Récherche Nucleaire (CERN) zahlreiche Aspekte seiner Theorie in Experimenten bestätigt werden. Aber nicht nur der Teilchenbeschleuniger Large Hadron Collider (LHC) verschaffte dem Forschungszentrum in der Nähe von Genf internationale Bekanntheit, sondern auch die Tatsache, dass ein britischer Wissenschaftler hier das World Wide Web erfand. 

CERN B777, Henning Larsen, CERN Prévessin, Centre Européen pour la Récherche Nucleaire
Die parametrisch designte Fassade hindert die Mittagssonne daran, das Gebäude im Sommer zu sehr aufzuheizen.

Nun bekommt der Campus CERN Prévessin auf der französischen Seite der Grenze ein neues Gebäude, das den Namen B777 trägt und in mehrfacher Hinsicht hervorsticht. Die Architekten des dänischen Architekturbüros Henning Larsen haben einen markanten ringförmigen Bau entworfen, der auf ganzer Linie emissionsarm und klimafreundlich gedacht ist. Das fängt beim erneuerbaren Baustoff Holz an und hört bei der parametrisch designten Fassade auf, die direkte Sonneneinstrahlung in der Mittagszeit minimiert und somit Energie einspart.

Ein naturnaher Anziehungspunkt

Das Forschungszentrum CERN, das sich teils auf schweizerischem, teils auf französischem Boden befindet, ist seit seiner Gründung im Jahr 1952 das europäische Epizentrum wissenschaftlicher Innovation. Ähnlich wie Danones neues Forschungszentrum In’Cube südwestlich von Paris, hat B777 mit der hochgeschlossenen Unnahbarkeit herkömmlicher Industrie- und Forschungsbauten wenig gemein. Vielmehr soll es ein Neubau werden, der die Mission von CERN widerspiegelt, nämlich: Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf der gemeinsamen Suche nach Erkenntnis zu vereinen. 

Unsere Vision ist es, einen dynamischen Arbeitsplatz inmitten der Natur zu schaffen – einen Ort, an dem Wohlbefinden, Teamwork und Wissen gedeihen. 

Søren Øllgaard, Europäischer Design Director von Henning Larsen
CERN B777, Henning Larsen, CERN Prévessin, Centre Européen pour la Récherche Nucleaire
Das großzügige Atrium dient als repräsentativer Empfangsraum und zugleich als Umschlagplatz für Gedanken und Ideen.

Seine offene Ringform trägt dem ebenso Rechnung wie der offensichtliche Auftrag, einen schönen, naturnahen Ort zu schaffen, an dem die Forschenden gerne zusammenkommen. Søren Øllgaard, Europäischer Design Director von Henning Larsen, sagt über den Entwurf: „Unsere Vision ist es, einen dynamischen Arbeitsplatz inmitten der Natur zu schaffen – einen Ort, an dem Wohlbefinden, Teamwork und Wissen gedeihen. Es ist mehr als nur ein gewöhnlicher Arbeitsplatz. Der kreisförmige Entwurf dient als symbolischer Marker und schafft ein kulturelles Zentrum für den gesamten Campus.“

Wohlfühlarchitektur als neues Mantra

Insgesamt liefert das neue Forschungsgebäude 13.000 Quadratmeter an Büro-, Labor- und Werkstatträumen, die allesamt von natürlichen Holzoberflächen und einem hohen Lichteintrag geprägt sind. Statt fensterloser Korridore, wie sie früher in Forschungsstätten nicht unüblich waren, dominiert eine räumliche Offenheit und Transparenz. Bei der weichen Haptik des Holzes schaltet der innere Modus automatisch auf Behaglichkeit. In Zeiten des War for talents wird die Wohlfühlarchitektur zum neuen Mantra erhoben.

CERN B777, Henning Larsen, CERN Prévessin, Centre Européen pour la Récherche Nucleaire
Der Innenhof bildet einen klimatisch geschützten Bereich mit hoher Aufenthaltsqualität.

Schon beim Eintritt in das Gebäude öffnet sich ein lichtdurchflutetes Atrium, das über alle vier Stockwerke reicht und die Erschließung auf einen Blick offenlegt. Holztreppen verbinden die einzelnen Geschosse miteinander, Brücken schweben hoch über dem Erdgeschoss und schaffen kurze Verbindungswege und spannende Blickbezüge. Trotz der schieren Größe dieses Atriums versprüht es durch den rustikalen Steinboden und den warmen Holzton eine dezidierte Gemütlichkeit. „Dieser innovative Raum soll den Mitarbeitern wie ein zweites Zuhause sein“, erklärt das Büro Henning Larsen das Ziel des Designs.

Dieser innovative Raum soll den Mitarbeitern wie ein zweites Zuhause sein.

Henning Larsen, Architekturbüro

Warum Hospitality-Bereiche beim Programming neuer Bürogebäude immer wichtiger werden, hat einen einfachen Grund. Sie holen die Menschen aus ihren Bürozellen und bieten in Zeiten der zunehmenden Digitalisierung eine Umgebung, in der ungeplante, informelle Interaktionen stattfinden können. Diese zwischenmenschlichen Zufallsmomente, so weiß man heute, sind mindestens genauso wichtig für den Erfolg von Projekten wie das konzentrierte Arbeiten im stillen Kämmerlein. Ein Ansatz, der auch unter dem Begriff Seredipitätsprinzip bekannt ist.

CERN B777, Henning Larsen, CERN Prévessin, Centre Européen pour la Récherche Nucleaire
Auch auf der Dachterrasse des Ringbaus dominiert die biophile Architektur.

Arbeiten im Grünen

Der begrünte Innenhof des B777 ist offen und durchlässig gestaltet, sodass er das ganze Jahr über einen geschützten Raum mit angenehmen Temperaturen bietet. Inspiration dafür fanden die Architektinnen und Architekten von Henning Larsen in der direkten Umgebung: „In Anlehnung an die geschützten Plätze im Herzen der umliegenden Alpendörfer schafft der Innenhof des Gebäudes ein optimiertes Mikroklima, das an die lokalen Gegebenheiten angepasst ist.“

Der Hof bildet durch die zwei offenen Seiten eine grüne Schneise, die an den kleinen Wald auf der einen und den Park auf der anderen Seite des Gebäudes anknüpft und die Biodiversität fördert. Durch die geschosshohen Verglasungen wird auf allen Seiten die Verbindung zwischen dem Innen- und dem Außenraum hergestellt. Informelle Meetingbereiche im Freien verlängern die Büroflächen nach außen und ermöglichen bei entsprechender Witterung auch ein Arbeiten im Grünen. 

CERN B777, Henning Larsen, CERN Prévessin, Centre Européen pour la Récherche Nucleaire
Der Hof bildet eine grüne Schneise, die an den Wald auf der einen und den Park auf der anderen Seite anknüpft und die Biodiversität fördert.

Natur als Stress-Killer

Biophile Architektur ist das neue Schlagwort, wenn es darum geht, die Kreativität der Mitarbeitenden zu stimulieren und seelisches Wohlbefinden zu fördern. Erst kürzlich konnte ein Team um die Ökologin MaryCarol Hunter der Universität Michigan beweisen, dass nur 20 Minuten im Grünen das Stresshormonlevel signifikant senken können. Der stete Blick ins Grüne vom Bürosessel aus kann im besten Fall also auch die Gesundheit verbessern.

Und dass das Reich der Natur für den Erkenntnisgewinn enorm wichtig ist, das wusste bereits Albert Einstein, als er sagte: „Schau tief in die Natur, und dann wirst du alles besser verstehen.“

Text: Gertraud Gerst
Visualisierungen: Vivid-Vision

Ein Sommerhaus, das mitwächst

Im Norden der dänischen Insel Seeland haben Norm Architects das Heatherhill Beach House entwickelt – ein Strandhaus, das so wandelbar ist wie die umgebende Natur.

Im deutschsprachigen Raum hätte man es womöglich das Fette-Hennen-Strandhaus getauft. Obwohl hier keineswegs die Rede von landwirtschaftlicher Nutzung ist. Und das Heatherhill Beach House des dänischen Studios Norm Architects mit Hühnerhaltung schon gar nichts zu tun hat. Höchstens im allerweitesten Sinne. Das Dach des Hauses in Heatherhill, das im Norden Dänemarks größter Insel Seeland liegt, soll nämlich vollständig mit der Pflanzengattung Sedum – zu Deutsch eben vor allem bekannt als Fette Henne – bepflanzt werden. Die genügsame Pflanze kann auf fast allen Bodentypen wachsen. Das macht sie nicht nur zu einer beliebten Gartenpflanze. Sie eignet sich auch optimal für die Begrünung von Dächern.  

Heatherhill House Dänemark
Der Norden Seelands, der größten Insel Dänemarks und der Ostsee, wird gerne mit mit der schottischen Küste verglichen.

Namensgebend für das umliegende Naturschutzgebiet und damit für das Projekt war dann schlussendlich aber eine andere Pflanze. Abgeleitet vom englischen Begriff für das in der Umgebung typische Heidekraut wurden daraus Heatherhill und das Heatherhill Beach House – und das klingt doch schon deutlich eleganter, oder?

Rekordverdächtig

Mit dem Haus, so das Architekturstudio mit Sitz in Kopenhagen, wollte man einen „Zufluchtsort vor dem stressigen Alltag in der Hauptstadt“ schaffen. Dafür wurden Elemente des klassischen dänischen Bauernhofs mit modernem Minimalismus vereint. Norm-Architektin Sophie Bak erzählt im Interview mit der Architekturplattform Dezeen, man sei von einem sehr traditionellen Stil ausgegangen. Um einen Innenhof zu erschaffen, habe man die längliche Form des klassischen Bauernhauses dann „auseinandergezogen und verschoben“ – ebenfalls ein stilistischer Wink mit dem Zaunpfahl.

Norm Architects
Eine adaptierte, klassische Bauernhaus-Form …
Front Heatherhill House
… mit Meerblick aus Küche und Wohnzimmer.

Schlichte Eleganz

Designtechnisch wird innen wie außen auf viel Holz gesetzt. Die Wände und Decken sind mit Zedernholz verkleidet, während die Böden größtenteils aus Douglasienholzdielen bestehen.

In den Gemeinschaftsräumen wie Küche und Wohnzimmer sind die Böden geziegelt, wobei die Ziegelsteine alle auf gleicher Höhe aneinandergereiht werden. Damit wollte man einmal mehr „traditionelle Materialien im zeitgenössischen Stil einarbeiten“, erklärt Bak. Das Holz, die klaren Linien sowie die warmen Beige- und Brauntöne sorgen außerdem dafür, dass das Heatherhill Beach House in seiner Schlichtheit viel Gemütlichkeit ausstrahlt.

Heatherhill House innen
Die Böden sind geziegelt, wobei die Steine alle auf gleicher Höhe aneinandergereiht wurden.

Platz für die ganze Familie

Architektin Sophie Bak führt aus: „Schon, wenn man das Grundstück über einen kleinen Schuppen betritt, kann man kurz das Meer erblicken. Folgt man dem Weg näher in Richtung Haus, kommt man auch der Aussicht näher.“ Drinnen gibt es Meerblick vom Wohnzimmer und der Küche aus. Diese befinden sich aufgrund des ungleichmäßigen Untergrunds auf verschiedenen Ebenen und sind somit durch wenige Stufen getrennt.

Der Rest der insgesamt 232 Quadratmeter des Hauses verteilt sich unter anderem auf vier Schlafzimmer und zwei Badezimmer. Platz für eine ganze Familie also. Bei der Innenarchitektur der Badezimmer habe man sich vom japanischen Stil inspirieren lassen, sodass sich die Räume, deren Platzangebot man eher kompakt nennen kann, dennoch groß und geräumig anfühlen.

Badezimmer
Badezimmer im japanischen Stil …
Kueche Heatherhill House
… treffen auf warme Beige- und Brauntöne.

Eins mit der Natur

„Die Farbe und die Qualität des Zedernholzes ergänzt sich mit der rauen Naturumgebung“, so Bak. „Außerdem wird es durch die Witterung eine gräulich silberne Farbe annehmen, was nicht nur schön aussehen wird, sondern sich farblich dem naheliegenden Meer anpasst.“

Das bepflanzte Dach, das auf ausdrücklichen Wunsch des Besitzers entstand, trägt außerdem dazu bei, dass das Haus inmitten der grünen Hügel ein stimmiges Bild ergibt. Und der Hausherr kann sich freuen. Denn abgesehen davon ändert sich auch die Fassade des Hauses im Laufe der Zeit – das ganze Gebäude unterliegt somit vollkommen dem Wandel der Natur. Wenn man hier nicht zur Ruhe kommt, wo dann?

Text: Rabea Scheger
Bilder: Norm Architects

Eine Uni probt die Bauwende

Das Marga Klompé Haus der Universität Tilburg ist das erste Unigebäude der Niederlande, das aus Holz gebaut ist. Teil des kreislauffähigen Designs von Powerhouse Company ist eine Dämmung aus recycelten Jeans.

Marga Klompé war das erste weibliche Regierungsmitglied der Niederlande und brachte 1963 unter anderem das allgemeine Sozialhilfegesetz auf den Weg. 1982 erhielt sie die Ehrendoktorwürde der Universität Tilburg, nun hat man der 1986 verstorbenen Politikerin ein Denkmal gesetzt und das neue Universitätsgebäude nach ihr benannt. Im kürzlich eröffneten Marga Komplé Haus müssen sich die rund 1.000 Studierenden keine Sorgen um ihren CO2-Fußabdruck machen, denn der Neubau ist ressourcenschonend errichtet und im Betrieb (annähernd) klimaneutral.

Marga Komplé Building, Tilburg Universität, Powerhouse Company
Innen Holz, außen Stein: das neu eröffnete Marga Komplé Haus der Universität Tilburg.

So steht es in der Projektbeschreibung des Architekturbüros Powerhouse Company, das seine Pläne für den Bildungsbau detailgetreu umgesetzt hat. Schon allein die Visualisierungen, die in einem früheren Beitrag zum Projekt zu sehen sind, lassen sich von den Fotos, die nach der Fertigstellung gemacht wurden, kaum unterscheiden. 

Leichtbausystem aus Holz

Einige Adaptierungen musste man während der Bauphase dennoch vornehmen. Vor allem die akustischen Anforderungen des Gebäudes waren sehr hoch und stellten in Kombination mit der Holz-Leichtkonstruktion eine besondere Herausforderung dar. „Pionierarbeit ist nicht einfach, aber wir haben es tatsächlich geschafft, Design und Konzept zum Leben zu erwecken“, erklärte Architektin Janneke van der Velden gegenüber dem Architekturportal Dezeen.

Pionierarbeit ist nicht einfach, aber wir haben es tatsächlich geschafft, Design und Konzept zum Leben zu erwecken.

Janneke van der Velden, Architektin bei Powerhouse Company

Die angepeilte Kreislauffähigkeit des neuen Unigebäudes spiegelt sich im erneuerbaren Baumaterial wider. Nicht nur die Konstruktion besteht aus Holz, sondern auch sämtliche Wände, Böden, Treppen, Rahmen und Oberflächen. 

Marga Komplé Building, Tilburg Universität, Powerhouse Company
Ein zentrales Atrium versorgt die innenliegenden Räume mit Tageslicht.
Marga Komplé Building, Tilburg Universität, Powerhouse Company
Das Design orientiert sich am modernistischen Erbe des Bestandsgebäudes Cobbenhagen, das der niederländische Architekt Jos Bedaux 1962 entwarf.

Mithilfe eines Leichtbausystems in Form von Holzrippenböden ließen sich große Weiten überspannen, ohne die Raumakustik zu beeinträchtigen. „Holz ist eine sehr wichtige zirkuläre Komponente und schafft eine warme Atmosphäre – es fügt sich gut in den Baumbestand, der das Gebäude umgibt“, so Van der Velden.

Recycelte Jeans als Dämmung

Was die Nachhaltigkeit des Gebäudes betrifft, so haben sich die Architekten am Konzept Trias Energetica orientiert, das ursprünglich an der niederländischen Universität in Delft entwickelt wurde. Dabei ist die oberste Priorität den Energiebedarf eines Gebäudes durch bauliche Maßnahmen auf ein Minimum zu reduzieren.

Die Baumwolldämmung aus Jeans ist nachhaltig und hat sich als hervorragende Möglichkeit erwiesen, den akustischen Komfort des Gebäudes zu verbessern.

Powerhouse Company, Architekturbüro

Die Energie, die für den Betrieb notwendig ist, soll in einer smarten Nutzung durch erneuerbare Quellen gedeckt werden. Und, falls fossile Energie zum Einsatz kommt, so soll diese effizient genutzt werden. So weit so logisch.

Marga Komplé Building, Tilburg Universität, Powerhouse Company
Nicht nur die Konstruktion des Neubaus besteht aus Holz, sondern auch sämtliche Wände, Böden, Treppen, Rahmen und Oberflächen. 
Marga Komplé Building, Tilburg Universität, Powerhouse Company
Auch im großen Auditorium lässt sich das Holz sehen und spüren.

Die funktionelle Landschaft

So wichtig der Klimaschutz bei Bauprojekten heute ist, so wichtig ist es auch, Maßnahmen zum Schutz vor den negativen Folgen des Klimawandels zu setzen. Richtete man sich bei der Gestaltung von Grünräumen früher nach rein ästhetischen Gesichtspunkten, so verbergen sich heute meist auch regulierende Funktionen hinter den gestalterischen Elementen.

In diesem Sinn entwarfen die mit dem Projekt beauftragten Landschaftsarchitekten von REDD ein Konzept für ein resilientes Ökosystem, in dem das Hochwasserrisiko minimiert ist. Die sanft abfallende Landschaft rückt bis an die Fassade des Marga Komplé Hauses heran. Ein mit Wildblumen bepflanztes Wadi ist nicht nur schön anzusehen, sondern dient auch als Versickerungsfläche im Fall von Starkregen, sodass die Kanalisation nicht überlastet wird.

Marga Komplé Building, Tilburg Universität, Powerhouse Company
Alles aus Massivholz – von der Treppe bis zum Handlauf.

Mit dem Holzbau sowie dem energieneutralen, kreislauffähigen Design setzt die Universität Tilburg ein klares Zeichen in Richtung Klima- und Bauwende. Dass das Marga Komplé Haus „Europas erstes Universitätsgebäude aus Holz“ ist, wie es in der Beschreibung der Architekten heißt, ist allerdings nicht ganz richtig. Das Ilse Wallentin Haus der Wiener Universität für Bodenkultur (BOKU) ist ein viergeschossiger Holzbau, der bereits 2020 eröffnet wurde.

Text: Gertraud Gerst
Fotos: Sebastian van Damme

Ein Hafen macht auf

Baltimores Inner Harbor soll revitalisiert und noch mehr ein Ort für Menschen werden. Die beauftragten Architekten von 3XN wissen, was sie tun, denn Kopenhagen hat dieselbe Entwicklung bereits hinter sich.

Seit den 1950er-Jahren haben die Hafenstädte der Industrienationen einen tiefgreifenden städteplanerischen Wandel durchgemacht. Logistische und technologische Umwälzungen in der Seeschifffahrt haben zu einer völligen Neuorganisation des Hafenbetriebs geführt. Der Siegeszug des Containers und der damit einhergehende erhöhte Flächenbedarf haben dazu geführt, dass sich die Umschlagterminals außerhalb der Städte angesiedelt haben. Die dadurch freigewordenen Flächen am Wasser sind unter dem Schlagwort Waterfront Revitalisation vielerorts zum Kernstück der Stadterneuerung geworden. 

Harborplace Baltimore, Inner Harbor, 3XN
Anstelle des desolaten Shopping Centers Harborplace in Baltimore soll ein ikonischer und klimaresilienter Neubau treten.

In Dänemarks Hauptstadt Kopenhagen etwa hat sich dadurch die Lebensqualität der Bewohner enorm erhöht. War das Hafenwasser früher eine stinkende Brühe, so wird heute darin gebadet. Öffentliche Hafenbäder von Star-Architekten, Saunaanlagen und schwimmende Parks haben das Wasser für die Stadtbewohner erschlossen und zum Naherholungsgebiet gemacht. 

Baltimores Inner Harbor 2.0

Die US-amerikanische Hafenstadt Baltimore hat eine ähnliche Entwicklung durchgemacht. Der Inner Harbor, der 1980 feierlich eröffnet wurde, ist heute das touristische Zentrum der Stadt. Für die Umgestaltung und Aufwertung des Hafengebietes wurde die Stadt damals mit zahlreichen Awards ausgezeichnet. Doch im Laufe der Jahrzehnte wurden die Promenaden-Pavillons marode, und die Stadtverwaltung hatte mit dem Problem zu kämpfen, dass sich im Hafenbecken der Müll sammelte. 

Harborplace Baltimore, Inner Harbor, 3XN
Wasserseitig zieht sich die Fassade des neuen Hafenzentrums in Form von geschwungenen Terrassen nach oben.

Die nächste Erneuerung stand an und der Healthy Harbor Plan bescherte dem Areal unter anderem das Müll-Sammel-Boot Mr. Trash Wheel, das seit seiner Inbetriebnahme im Jahr 2008 bereits viele Hundert Tonnen Abfall aus der Chesapeake Bay geschaufelt hat. Das Naheliegende, nämlich dafür zu sorgen, dass der Müll erst gar nicht im Wasser landet, hebt man sich wohl für die nächste Runde der Hafenerneuerung auf.

Das konkave Design ist nicht nur ein ästhetisches Element – es schafft einen amphitheaterähnlichen Raum mit engen Bezügen zwischen den Aktivitäten auf jeder Ebene.

Jens Holm, Leiter des Nordamerika-Geschäfts von 3XN

Mit dem Revitalisierungsplan Inner Harbor 2.0 setzt nun auch eine architektonische Frischzellenkur ein, die das Hafengebiet um zusätzliche Anziehungspunkte erweitern soll: klimagerechte Parks, eine neue Fußgängerbrücke und einen Ersatzneubau für das heruntergekommene Einkaufs- und Marktzentrum Harborplace, das nach einer missglückten Übernahme in den letzten Jahren leer stand.

Harborplace Baltimore, Inner Harbor, 3XN
Im Inneren präsentiert sich das Gebäude als Holzbau mit offenen Grundrissen und versetzten Galerien.

Ein Gebäude als begehbare Landschaft

An seine Stelle soll nun ein ikonischer Neubau treten, der das zum Ausdruck bringt, was der Inner Harbor zum Leitbild hat: Der Hafen gehört den Menschen. Entwickelt wird das freiwerdende Areal vom lokalen Developer MCB Real Estate. Das geplante Gebäude an der Adresse 201 E Pratt St. soll sich in der Form eines Amphitheaters zum Wasser hin öffnen und eine öffentlich begehbare Dachlandschaft bilden, mit weiten Blickbezügen über die Bucht.

Der Entwurf dafür stammt vom Kopenhagener Büro 3XN, das sich mit visionären Bauten am Wasser – wie das Shenzhen Natural History Museum – bereits einen Namen gemacht hat. In Anlehnung an die geblähten Segel, die in der Bucht auf und ab schaukeln, hebt sich die Gebäudefront in einem Schwung von der Wasserkante bis zur Höhe der umliegenden Bebauung. „Das konkave Design ist nicht nur ein ästhetisches Element – es schafft einen amphitheaterähnlichen Raum mit engen Bezügen zwischen den Aktivitäten auf jeder Ebene“, erklärt Jens Holm, Partner bei 3XN und zuständig für Nordamerika.

Harborplace Baltimore, Inner Harbor, 3XN
Das neue Hafenzentrum soll ein Ort sein, an dem die Menschen zusammenkommen.

Breite Bürgerbeteiligung zu Beginn

In einem beherzten Prozess zur Bürgerbeteiligung hat man die Wünsche und Bedürfnisse der Einwohner eingefangen und in ein Konzept gegossen, das diese Inputs möglichst vielfältig abbilden sollte. „Diese Stadtentwicklung ist eine einzigartige Gelegenheit, den Raum neu zu denken und einen besseren Zugang zum Wasser für alle zu schaffen“, sagt David Bramble, Geschäftsführender Gesellschafter und Mitbegründer von MBC.

Dieser Entwicklungsprozess ist eine einzigartige Gelegenheit, den Raum neu zu denken und einen besseren Zugang zum Wasser zu schaffen.

David Bramble, Geschäftsführender Gesellschafter von MBC

Diesem Konzept zufolge soll das neue Hafenzentrum ein Ort sein, der kulturelle, gewerbliche und gastronomische Angebote bietet und dabei besonders lokale Unternehmen, Kunsthandwerker und Kreative unterstützt. Die räumlichen Möglichkeiten will man flexibel anlegen und auch Platz für eine öffentliche Markthalle schaffen. Konnte der Bestandsbau weder der Zeit noch den gestiegenen Umweltanforderungen standhalten, so setzt der Entwickler beim Neubau auf möglichst große Resilienz und Langlebigkeit.

Harborplace Baltimore, Inner Harbor, 3XN
Resilienz und Langlebigkeit stand bei der Konzeptentwicklung des Neubaus im Vordergrund.

Klimaresilienz im Fokus

3XN, die Innovationsabteilung des dänischen Architekturbüros, erarbeitete daher zusammen mit dem Design-Team eine Strategie. Das Ziel war ein Gebäude, das nicht nur ästhetisch und funktional ist, sondern auch nachhaltig und klimaresilient. Die Form des Gebäudes mit dem Aufwärtsschwung der Fassade trotzt den Küstenwinden, während die umfangreiche Fassadenbegrünung dem Regenwassermanagement dient. 

Kim Herforth Nielsen, Gründer und Kreativchef von 3XN, sieht große Parallelen zwischen Baltimore und seiner Heimatstadt Kopenhagen, die eine erfolgreiche Transformation des Hafens von einem Ort der Industrie zu einem Ort für Menschen hinter sich hat. „Bei diesem Projekt in Baltimores Inner Harbor können wir dasselbe tun – den Menschen einen Ort bieten, an dem sie zusammen sein und ihre Stadt feiern können.“

Text: Gertraud Gerst
Visualisierungen: 3XN

Ein Holzbau für den Wiener Prater

Das neue Pratermuseum ist eröffnet. Architekt Michael Wallraff hat einen der ersten öffentlichen Holzbauten der Stadt entworfen und das Klimasystem gemeinsam mit einem Wiener Start-up dekarbonisiert.

Als Joseph II. 1766 die kaiserlichen Jagdgründe für alle öffnen ließ, bekam Wien ein weitläufiges Naherholungsgebiet in der Wiener Leopoldstadt, das bis heute von Aulandschaften geprägt ist. Es war der Beginn einer Demokratisierung von Erholung und Vergnügen, das nicht mehr an einen kirchlichen Kalender gebunden war. An der Nordwestspitze des Areals entstand der Wurstelprater, einer der ältesten Vergnügungsparks der Welt. Neben dem weltbekannten Riesenrad verfügt er auch über weniger bekannte Wahrzeichen, wie den Watschenmann, bei dem man Ende des 19. Jahrhunderts erstmals seine Schlagkraft unter Beweis stellen konnte. „A Watschn 2,-„ ist auf dem Schild zu lesen, das er an einer Kette um den Hals trägt. Heute wird er nicht mehr geschlagen, sondern zeugt im neuen Pratermuseum von der 250-jährigen Geschichte der Schaubuden und Attraktionen. Nach jahrzehntelanger Untermiete im Planetarium gibt es nun ein eigenes Museumsgebäude, das nun im Frühjahr eröffnet wurde.

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Der Watschenmann kann heute nicht mehr geschlagen, sondern im neuen Pratermuseum als Vintage-Attraktion bestaunt werden.

Architekt Michael Wallraff legte beim Konzept nicht nur Wert auf eine nachhaltige Umsetzung und einen energieschonenden Betrieb, auch der demokratische Grundgedanke war entscheidend: „Wir wollten das Pratermuseum öffnen und das Publikum niederschwellig abholen. Deshalb gibt es zwei gleichwertige Haupteingänge, die eine Art halböffentliche Passage bilden.“ Während sich in den drei Stockwerken darüber die Geschichte des Praters im Detail erkunden lässt, gibt es im Foyer mit dem Panoramabild des Vergnügungsparks von Olaf Osten bereits einen ersten Vorgeschmack.

Freier Blick aufs Riesenrad

Eine Vorgabe der Magistratsabteilung 19 (MA 19), zuständig für Architektur und Stadtgestaltung, war, dass der Neubau nicht die Sicht auf das Riesenrad verstellen dürfe. „Durch die Bauvorgabe hat sich das hohe Volumen ergeben, aus dem wir einen Blickkegel von der Hauptachse des Wurstelpraters ausgeschnitten haben“, erklärt Wallraff den Prozess der Formfindung.

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Laut Vorgabe der MA 19 sollte der Neubau nicht den Blick aufs Riesenrad verstellen.

Durch die Bauvorgabe hat sich das hohe Volumen ergeben, aus dem wir einen Blickkegel von der Hauptachse des Wurstelpraters ausgeschnitten haben.

Michael Wallraff, Architekt

Die so entstandene kegelförmige Dachform hat von innen etwas Zeltartiges und habe, so der Architekt, ganz gut zum Thema gepasst. Bei seiner Form bezieht sich das Gebäude auch auf die vorhandene Typologie der kulissenhaften Praterbuden. „Das neue Pratermuseum sollte eine wiedererkennbare Landmarke setzen und eine Silhouette ergeben, die in den Wurstelprater passt.“

Holzbau spiegelt Vergangenheit und Zukunft

Was auch der architektonischen Geschichte des Ortes entspricht, ist die Wahl des Baumaterials. „Der Baustoff Holz passt inhaltlich gut in den Würstelprater, da die traditionelle Praterarchitektur immer ein Leichtbau aus Stahl oder Holz war.“ Dass mit dem Museum auch Wiens erster öffentlicher Holzbau entstanden ist, hat natürlich in erster Linie mit der Klimafreundlichkeit des Baumaterials zu tun, die im Nachhaltigkeitskonzept festgeschrieben ist.

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Das große Prater-Wimmelbild von Olaf Osten befindet sich im Eingangsbereich und ist frei zugänglich.

Der Baustoff Holz passt inhaltlich gut in den Würstelprater, da die traditionelle Praterarchitektur immer ein Leichtbau aus Stahl oder Holz war.

Michael Wallraff, Architekt

Aufgrund der hohen geltenden Brandschutzvorschriften ist es ein Holz-Hybridbau geworden. Die beiden Feuermauern zu den Nachbargrundstücken in den unteren zwei Geschossen mussten in Beton errichtet werden. „Der Rest, also rund 80 Prozent des Gebäudes, sind aus Holz gebaut“, so Wallraff, für den der Holzbau im urbanen Raum noch Entwicklungspotenzial hat. Allerdings relativiert er: „Man darf nicht glauben, dass der Holzbau die Lösung aller Probleme ist, aber er liefert eine mögliche Variante, Dinge CO2-schonend zu lösen.“

Energieeinsparung durch innovative Bauteilatmung

Auch bei der Klimatisierung des Gebäudes hat man eine CO2-schonende Lösung gefunden. Da Museumsbauten für gewöhnlich sehr hohe Anforderungen an das Raumklima haben, braucht es meist sehr energieintensive Lüftungsanlagen. Im neuen Pratermuseum kommt erstmals eine Innovation zum Einsatz, die eine neue Art der Flächenkühlung ermöglicht.

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Früher waren im Wurstelprater exotische Tierschauen mit Haifischen, Krokodilen und Affen zu sehen.

Das Wiener Start-up Abaton hat ein Klimapaneel entwickelt, mit dem sich das übliche Tauwasserproblem von Flächenkühlungen umgehen lässt. Im Gegensatz zu konventionellen Kühlpaneelen können die drei Zentimeter starken Bauplatten auf Mineralschaumbasis nicht nur Temperaturen speichern, sondern auch Feuchtigkeit puffern. Diese neuartigen Paneele wurde nun erstmals in einem Museumsbau eingesetzt.

Durch das innovative Kühlsystem brauchen wir wesentlich weniger Lüftungsleistung als im konventionellen Museum.

Michael Wallraff, Architekt

„Durch das innovative Kühlsystem brauchen wir wesentlich weniger Lüftungsleistung als im konventionellen Museum“, betont Wallraff. Konkret soll die sogenannte Bauteilatmung bis zu 30 Prozent an Energie einsparen und rund 50 Prozent weniger CO2-Emissionen erzeugen als herkömmliche Systeme.

Innovative Klimakonzepte gefragt

„Das Klimapaneel, das wir sowohl vertikal als auch horizontal eingesetzt haben, spart spürbar Primärenergie. Die restliche Energie wird über eine Wärmepumpe erzeugt, die mit Photovoltaik betrieben wird“, fasst Wallraff das Energiekonzept zusammen.

Der steigende Bedarf an Raumkühlung in einer immer wärmeren Welt ist laut Fatih Birol, dem Chef der Internationalen Energieagentur (IEA), „der größte blinde Fleck der Klimadebatte“. Innovationen in diesem Bereich leisten daher einen wichtigen Beitrag, um den CO2-intensiven Gebäudesektor klimafit zu machen. 

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Im Vorjahr durchbrach der Wiener Wurstelprater erstmals die Rekord-Schallmauer von sieben Millionen Besuchern. Mit dem neuen Pratermuseum hat seine historische Sammlung eine richtungsweisende Architektur bekommen. Ein Museum, das sich inhaltlich der Vergangenheit widmet, während der Holzbau mit dem energiesparenden Klimakonzept in die Zukunft weist.

Text: Gertraud Gerst
Fotos: Herta Hurnaus, Klaus Pichler, TimTom

Die tun was für Studierende

ASAS arkitektur hat die Studentenwohnheime der Toneheim Folkehøgskole durch neue ersetzt. In der Mitte: ein Hof, der in Norwegen traditionell „Tun“ heißt. Die dorfähnliche Struktur fördert das Zusammenspiel der Bewohner. Perfekt für ein Musik-College.

Graue unpersönliche Kästen? Zellen an langen öden Korridoren? Fantasielose Container-Dörfer gar? Was das studentische Wohnen über Jahrzehnte prägte, ist zum Glück ein Auslaufmodell. Zwar geht es weiterhin darum, Studierenden praktischen Wohnraum zu fixen, überschaubaren Kosten zur Verfügung zu stellen, damit sie sich auf ihre Ausbildung konzentrieren können. Und nach wie vor hat die Architektur auch immer noch die Verantwortung, „die Grundlagen für ein autarkes Leben in einem geschützten Raum zu schaffen“, wie Marina Döring-Williams betont, Professorin an der TU Wien und Co-Autorin des Buchs „Das Wiener Studentenheim“. Moderne Studentenwohnheime meistern durch eine Kombination aus innovativen Bautechnologien und nutzerzentrierter Planung mittlerweile aber auch die Herausforderung, zeitgemäße Ansprüche in Bezug auf Ökonomie und Ökologie mit Lebensqualität unter einen Hut zu bringen. Zunehmend werden sie gar zu Pionieren und Laboren für das urbane Wohnen der Zukunft.

Voderansicht Studentwohnheim ASAS arkitektur
Das neue Studentenwohnheim der Toneheim Folkehøgskole in Ridabu, Norwegen, wurde von ASAS arkitektur geplant.

Vielfalt studentischen Wohnens

Wie vielfältig sich studentisches Wohnen heute gestalten lässt, zeigte das Deutsche Architektenblatt, kurz DAB, unlängst mit der Vorstellung einer kleinen Auswahl von Projekten. Beeindruckend auch das Beloit College Powerhouse, über das wir schon berichteten. Und eine Studie der WOKO (Studentische Wohngenossenschaft Zürich) versammelte ebenso einige Vorzeigebauten. Ihnen gemein ist, dass sie nie auf die nebeneinander existierenden Bedürfnisse nach Gemeinschaft und Privatsphäre vergessen. Besonders im Trend liegen einerseits Wohngemeinschaften in möglichst kleinen Gruppen von zwei bis maximal neun Personen, anderseits Einzelappartements mit eigenem Bad und Kochgelegenheit. Moderne Einrichtungen setzen zudem auf eine Mischung aus halböffentlichen Bereichen und privaten Treffpunkten für Lerngruppen.

Studentenwohnheim Toneheim Folkehøgskole Norwegen
Um die Bauzeit zu verkürzen, setzte man auf eine modulare Bauweise und vorgefertigte Holzkonstruktionen.

Raum für Musik(er)

Ein Projekt, das auf den Listen fehlt, ist das Studentenwohnheim von ASAS arkitektur in Ridabu vor den Toren der norwegischen Olympiastadt Hamar. Nicht, weil es keinen Platz darauf verdient hätte. Sondern weil es ganz neu ist. Die Planer ersetzten damit das bestehende und schon deutlich in die Jahre gekommenen Studentenwohnheim der Toneheim Folkehøgskole, einer Art College, das sich der Ausbildung von Musikerinnen und Musikern verschrieben und auch schon einige Berühmtheiten hervorgebracht hat.

Um die Bauzeit der Passivhäuser zu verkürzen, setzte man bei der Betonkonstruktion auf eine modulare Bauweise und auf vorgefertigte Holzkonstruktionen als Hauptelemente. Außerdem verfolgte man die Idee einer einfachen Baustein-Struktur. Sie wiederholt und variiert sich – je nach Platzierung der einzelnen Gebäude auf dem Grundstück und ihrer Ausrichtung. „Durch dieses Prinzip konnte das Gelände größtenteils so belassen werden, wie es war“, so die Planer. Zusätzlich zahlt der kompakte Grundriss auf die Effizienz hinsichtlich Raumnutzung, Energie und Wirtschaftlichkeit ein.

Zimmer im Passivhaus
Die Zimmer des Studentenwohnheims: zweckmäßig, …
Ausblick aus dem Wohnheimzimmer
… aber mit schönem Ausblick.

Holz gegen dicke Luft

So schnell der Bau vonstatten ging, so lange nahm man sich Zeit für die Planung. Ideen und Konzepte werden bei ASAS arkitektur nämlich hauptsächlich von Hand zu Papier gebracht. „Bei der Handskizze werden die räumlichen Qualitäten an physischen Modellen getestet, bevor die Projekte in die digitale 3D-Welt einfließen“, erklärt das Büro. So hätten die Teams Zeit, das optimale Verhältnis zwischen Form, Raum und Funktion zu untersuchen und die richtige Strategie für Nachhaltigkeit, Systeme und Materialien zu wählen, heißt es aus dem Osloer Hauptsitz. Ein Ergebnis des Prozesses war im Falle des Studentenwohnheims der Toneheim Folkehøgskole eine verkettete Gebäudestruktur. Sie sorgt für kleinere Fassaden und begrenzt den Wärmeverlust. Alle Fenster haben zudem sehr niedrige U-Werte und können, wenn es Tages- und Jahreszeit zulassen, auch als Sonnenfänger fungieren.

Im Inneren der Blöcke finden sich je fünf Zwei-Personen-Zimmern, Sanitäranlagen, ein Aufenthalts- und ein Gemeinschaftsraum mit Küche. Letzterer liegt so, dass die Bewohnerinnen und Bewohner an ihm vorbekommen, wenn sie ins oder aus dem Gebäude unterwegs sind. Das soll die Interaktion und Kommunikation fördern. Dafür, dass raumklimatisch keine dicke Luft zwischen den Studierenden herrscht, sorgen Innenwände aus Fichtenholz.

Treppehaus im Wohnheim
Viel Holz fürs Raumklima, …
Treppenhaus im Studentenwohnheim
… und mit Sitzecken als Rückzugsort geplant.

Treppe als Rückzugsraum

Das Massivholz kam auch bei der Außenverkleidung zum Einsatz. Über die Jahre werden die Gebäude also eine silbergraue Patina erhalten. Ansonsten werden die effizienten Gebäude nicht so schnell altern. Die auch für Rollstuhlfahrer zugänglichen Schlafzimmer können jedenfalls auf vielfältige Weise eingerichtet und genutzt werden. Der Stauraum ist maximiert, mit Platz unter dem Bett und einer Wandnische darüber. Von den Schlafzimmern im Süden und Westen hat man einen schönen Blick auf das ländliche Stangelandet, von jenen im Nordosten auf die Vang-Kirche.

Das Zweibett-Zimmer ist nicht privat genug? Auch daran haben die Planer gedacht. Ihre Lösung: Sie integrierten die Treppe in den Gemeinschaftsraum. Man muss aber nicht auf den Stufen sitzen, um in Ruhe zu lesen oder zu telefonieren. Vielmehr beherbergt der Treppenturm kleine, intime Rückzugsäume. Außerdem ist er auch ein wichtiges internes und externes Element in Bezug auf die Form der Häuser und: ein Teil des Nachhaltigkeitskonzepts. Denn die Oberlichter im Treppenhaus sorgen für einen großzügigen Tageslichteinfall in den Häusern.

Vogelperspektive Wohnheim Ridabu
Von oben erkennt man gut, wie die einzelnen Blöcke um den Tun, den traditionellen Hof, herum errichtet wurden.

Das Tun rund um den Tun

Es ist also genau genommen nicht ganz richtig, von einem Wohnheim zu sprechen. Vielmehr schuf das Team von ASAS arkitektur auf dem Gelände ein ganzes Dorf. Die Gebäude gruppieren sich dabei um einen Hof herum, der in Norwegen traditionell „Tun“ genannt wird. Der Ausdruck geht auf die Bezeichnung „Tunanlegg“ für frühgeschichtliche Hofsiedlungen zurück. Bis heute ist diese landestypische, dorfähnliche Struktur, die tief mit dem Ort und seiner Geschichte verwurzelt ist, für Bauerhöfe im hohen Norden weit verbreitet.

In Ridabu wählte man sie einerseits, weil die Ausbildungsstätte auch ein Ort war und ist, an dem Traditionen hochgehalten werden. Und das sollte sich in der Architektur des neuen Studentenwohnheims der Toneheim Folkehøgskole widerspiegeln. Andererseits trägt der Dorfcharakter auch zum Wohlbefinden der Lernenden wie Lehrenden bei. Im „Tun“ wurden Obstbäume und robuste, pflegeleichte Sträucher gepflanzt, wie etwa die Junibeere, die im Frühjahr blüht und im Herbst Beeren liefert. Außerdem wurden im Hof mit Rasenflächen und Bänken Begegnungs- und Aufenthaltsmöglichkeiten geschaffen.

Studentenwohnheim der Toneheim Folkehøgskole
Der Hof zwischen den Gebäuden: eine Begegnungszone.
Holzfassade des Studentenwohnheims
Die Holzfassade wird sich mit der Zeit „versilbern“.

Gemeinschaft ist beim Studentenwohnheim der Toneheim Folkehøgskole auch inklusiv gedacht geworden. Die unzähligen Laufwege gewährleisten durch taktile Aufmerksamkeitszonen und in die Gehwege integrierte Führungslinien die Orientierung für Sehbehinderte. Und nicht zuletzt sind neben den Eingängen auch alle Gemeinschaftsräume auf den Hof ausgerichtet. Für den Blick ins Grüne. Aber auch für den optische Erinnerung, dass man in eine große Community eingebunden ist.

Denn mag man auch musikalisch ein Solist sein: Ohne Orchester und das Zusammenspiel geht es auf Dauer nicht.

Text: Daniela Schuster
Bilder: ASAS arktektur

Wie Phönix aus der Asche

Im einstigen Industrieviertel der südenglischen Stadt Lewes entsteht Großbritanniens größtes Quartier in Holzbauweise. Phoenix nennt sich das neue Stadtgebiet, mit dem ein kleiner Developer den britischen Wohnbausektor aufmischt.

Der Wohnbausektor in Großbritannien ist seit einigen Jahrzehnten in festen Händen. Während der Markt früher von einer Vielzahl kleiner und mittlerer Unternehmen bespielt wurde, werden heute laut dem Branchenportal „building.co.uk“ 80 Prozent aller neuen Wohnungen von fünf großen Playern gebaut. Der neue Entwickler Human Nature aus East Sussex möchte den Beweis antreten, dass auch kleinere Unternehmen mitmischen und mitunter erfolgreicher sein können als die Platzhirschen. Nämlich wenn es darum geht, leistbaren Wohnraum und ein Stadtgefüge zu schaffen, das architektonischen Anspruch hochhält und ökologisch und sozial nachhaltig ist. Mit dem Projekt Phoenix in der historischen Stadt Lewes in East Sussex soll eine Industriebrache zur neuen Vorzeigestadt werden. Und zu Großbritanniens größtem Stadtgebiet, das aus dem nachwachsenden Rohstoff Holz gebaut ist.

Phoenix, Lewes, Holzbau, England, Human Nature, Periscope
So soll das neue Viertel in Holzbauweise in der südenglischen Stadt Lewes aussehen.

Ehemaliger Greenpeace-Chef als Developer

Bei ähnlichen Projekten dieser Art seien es meist die nachhaltigen und sozialen Aspekte, die im Sinne der Gewinnmaximierung als erstes dem Rotstift zum Opfer fallen. „Grundsätzlich ist es unsere Überzeugung, dass Grundstückseigentümer und Entwickler zu viel Geld auf Kosten der Gemeinden, der Qualität und der Nachhaltigkeit von Orten abziehen und dass ein neues Gleichgewicht gefunden werden muss“, erklärt Jonathan Smales, CEO von Human Nature und früherer Geschäftsführer von Greenpeace. „Human Nature hat sich bei diesem Projekt für eine kleinere Gewinnspanne entschieden, um bezahlbaren Wohnraum zu schaffen und der Stadt mehr soziale und wirtschaftliche Vorteile zu bieten.“

Human Nature hat sich bei diesem Projekt für eine kleinere Gewinnspanne entschieden, um bezahlbaren Wohnraum zu schaffen und der Stadt mehr soziale und wirtschaftliche Vorteile zu bieten.

Jonathan Smales, CEO von Human Nature

Smales und sein Team sind in der Gegend im Südosten Englands persönlich verwurzelt und nicht dem großen Druck von Shareholdern oder Kreditgebern ausgesetzt, der viele Entwickler dazu bringt, Kosten zu senken und Kompromisse bei der Qualität einzugehen. Dass Human Nature einen anderen Weg gehen will, zeigt schon das etwas großspurige Intro-Statement auf ihrer Website: „Es gibt eine viel, viel bessere Welt. Aber man muss sie gesehen haben, um daran zu glauben.“ Mit dem Großprojekt, das auf dem Gelände des ehemaligen Eisenwerks Phoenix an die 700 neue Wohnungen entstehen lässt, möchte Human Nature die Latte für neue Mixed-Use-Projekte in Großbritannien höher legen.

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Eine Wohnhausanlage direkt am Fluss Ouse nach den Plänen des Büros Adam Richards Architects.

Ein Masterplan für die autofreie Stadt

Phoenix ist als fußgänger- und fahrradfreundliches Viertel konzipiert, in dem es nur sehr begrenzt straßenseitige Parkplätze gibt. Stellplätze für Autos gibt es stattdessen in einem sogenannten Co-Mobility Hub am südlichen Rand des Viertels. Car- und E-Bike-Sharing sowie ein Shuttlebus-Service sollen dazu animieren, dass auf das Fahren im eigenen Auto möglichst verzichtet wird.

Den Masterplan für das neue Stadtgebiet hat das Team von Human Nature zusammen mit dem Architekturbüro Periscope und Kathryn Firth erstellt, der Leiterin der Urban-Design-Abteilung des Planungsbüros Arup. Die Gebäude sind zwei- bis fünfstöckig geplant und orientieren sich an lokalen Typologien und baukulturellen Gegebenheiten.

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Der Masterplan für das neue Stadtviertel setzt auf fußgänger- und fahrradfreundliche Straßen.

Ressourcen schürfen im Bestand

Den Bestand des einstigen Industrieviertels will man, so weit es möglich ist, renovieren und für die gemeinschaftlichen Bereiche wie Kantine, Veranstaltungssaal, Fitness Center und Werkstätten nutzen. Darüber hinaus soll in den nicht erhaltenswerten Bestandsstrukturen nach wiederverwendbaren Rohstoffen geschürft werden.

Die Firma Local Works Studio aus East Sussex, die auf die kreative Wiederverwendung von Materialien spezialisiert ist, hat das gesamte Grundstück begutachtet. Dabei wurden alle verbauten Materialien, die sich wiederverwenden oder recyceln lassen, katalogisiert, in erster Linie sind das Stahl, Holz, Ziegel und Beton. Aus einem Stahlgerüst will man beispielsweise eine neue Fußgängerbrücke über den Fluss Ouse errichten, der das Grundstück an der Ostseite begrenzt.

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Einige Bestandsgebäude des Industriegebietes sollen erhalten um umgenutzt werden, in anderen wird nach wiederverwertbaren Materialien geschürft.

Alle Neubauten in Holzbauweise

Die Energieeffizienz des neuen Stadtviertels und der Betrieb durch erneuerbare Energien zielt auf einen CO2-armen Betrieb ab. Alle geplanten Neubauten in Phoenix sollen in Holzbauweise errichtet werden. Das Holz dafür wird vermutlich aus dem kontinentalen Europa bezogen, während das Holz für die Fassadenpaneele aus lokaler Produktion stammt.

Das Bauen mit natürlichen Materialien liegt auf der Hand, wenn man es mit der Nachhaltigkeit ernst meint und sich nicht bloß Lippenbekenntnissen hingibt.

Jonathan Smales, CEO von Human Nature

Immerhin ist East Sussex die Grafschaft mit den zweithöchsten Waldbeständen in England. Das Potenzial für einen langfristig erfolgreichen Industriezweig sei laut Smales vorhanden. „Das Bauen mit natürlichen Materialien liegt auf der Hand, wenn man es mit der Nachhaltigkeit ernst meint und sich nicht bloß Lippenbekenntnissen hingibt“, so Smales. In herkömmlicher Bauweise würde es 40 Jahre dauern, um die entstandenen Emissionen wieder auszugleichen, rechnet er vor.

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Am Flussufer sollen öffentliche Bereiche mit hoher Aufenthaltsqualität entstehen.

Erfolg durch Nachhaltigkeit

Das Projekt hat kürzlich die Baugenehmigung erhalten, eine Hürde, an der ein anderer Developer zuvor gescheitert war. Eine lokale Interessensgruppe namens Lewes Phoenix Rising hatte sich gegen das Vorgängerprojekt ausgesprochen und forderte eine dezidiert nachhaltige Entwicklung des Areals. 

Dass die Industriebrache nun wie Phönix aus der Asche steigt, ist nicht zuletzt der sozialen Nachhaltigkeit des aktuellen Projektes zu verdanken. Mit seinem Konzept will Human Nature die Menschen mitnehmen und ihnen Perspektiven bieten. Im Zuge des Immobilienprojektes soll eine Reihe an Arbeits- und Ausbildungsplätzen entstehen. Die Fassadenpaneele etwa werden aus Holz und Hanfbeton in einer Produktionsstätte vor Ort hergestellt. Damit will man jungen Menschen die Möglichkeit bieten, in Kooperation mit dem East Sussex College eine Ausbildung in nachhaltigen Bauweisen zu absolvieren.

Text: Gertraud Gerst
Fotos und Visualisierungen: Human Nature, Periscope, Adam Richards Architects, Ash Sakula Architects, Mae Architects

Die schickste Tanke landauf, landab

Am nördlichen Stadtrand von Coburg entsteht ein öffentlicher E-Ladepark, der zum inklusiven Ausfliegsziel im Grünen werden soll. Das Büro DKFS Architects setzt auf einen futuristischen Holzbau, der Natur und Technik in Einklang bringt.

Seit den 1950er-Jahren verzeichnet man in den Industrienationen eine Mobilitätsexplosion, die in erster Linie als motorisierter Individualverkehr in Erscheinung tritt. Die Vorstellung von individueller Freiheit war seither eng mit dem Besitz eines eigenen Pkws verknüpft, und ist es großteils auch heute noch. Während sich der Ausbau der städtischen Verkehrsinfrastruktur über Jahrzehnte auf den motorisierten Verkehr konzentrierte, begann erst in jüngerer Zeit langsam ein Umdenken. Für Fußgänger und Radfahrer, die sich oft mehr schlecht als recht durch den überlasteten Straßenverkehr wursteln müssen, entstehen immer öfter eigene Hochbrücken zum Überqueren des dichten urbanen Geflechts, und das nicht nur in der Fahrradhauptstadt Kopenhagen. Neuerdings werden auch Tankstellen geplant, die zum fußgängertauglichen Ausflugsziel im Grünen werden und mit der Asphalt-Tristesse der Vergangenheit nichts mehr gemein haben. Im Fall des E-Ladeparks, den das Unternehmen KAESER in Coburg plant, hat die Tanke sogar das Zeug zur architektonischen Landmarke.

KAESER Ladepark Coburg, DKFS Architects, Holzbau
Tanken im Klimawald: Am geplanten Coburger Ladepark entsteht eine Parklandschaft für alle Verkehrsteilnehmer.

Vision von Mobilität und Naturverbundenheit

Der Entwurf für die extravagant geschwungene Holzkonstruktion stammt von dem in London und Köln ansässigen Büro DKFS Architects, das sich in den letzen Jahren im Bau von durchdachten Fußgänger- und Fahrradbrücken einen Namen gemacht hat. Unter anderem soll in Warschau eine der längsten Fußbrücken Europas entstehen, die auf einer Länge von 500 Metern barrierefrei die Stadt erschließt und zugleich als Panoramaweg eine neue touristische Attraktion bildet.

Der Entwurf integriert Natur, Technik und Leben zu einer neuen Generation von Infrastruktur.

KAESER Ladepark Coburg

Die geschichtsträchtige Stadt Coburg im nördlichen Bayern soll künftig über einen der modernsten Ladeparks Deutschlands verfügen, bei dem das Wort „Park“ auch seinen Namen verdient. Hinter dem Projekt steht der Druckluft-Systemanbieter KAESER Kompressoren, der die architektonische Vision eines Mobilitäts- und Wohlfühlortes entstehen lässt. „Der Entwurf integriert Natur, Technik und Leben zu einer neuen Generation von Infrastruktur“, fasst es das Unternehmen in einer Aussendung zusammen.

Natur und Technik in Harmonie

So entsteht am nördlichen Rand des Stadtgebiets eine markante Dachkonstruktion in moderner Holzbauweise. Gerade und geschwungene Leimbinder bilden das Tragwerk eines aerodynamisch geformten Daches, das sich in Bändern über die Ladestraßen zieht. „Dass sich das Bauwerk als Teil der Topographie begreift, wird am eleganten Schwung der Ladepark-Überdachung erkennbar.“

KAESER Ladepark Coburg, DKFS Architects, Holzbau
Das aerodynamisch geformte Dach wird von gebogenen Leimbindern getragen.

An der weithin sichtbaren Erhebung des geplanten Ladeparks soll das harmonische Zusammenspiel von Natur und Technik ablesbar sein. Mit seiner CO2-reduzierten Holzbauweise und den stromerzeugenden Photovoltaikschindeln am Dach versteht sich das Bauwerk auch als Beitrag zum Erhalt der Landschaft, in die es eingebettet ist. Die E-Ladestationen werden mit 100 Prozent Ökostrom betrieben, und ein neu angelegter Klimawald soll den Baumbestand ergänzen. 

Einer Neu-Versiegelung von Flächen will man mit dem Bauprojekt aktiv entgegenwirken: „Mit der Realisierung kommt es insgesamt zu einem signifikanten Rückbau von versiegelten Flächen, da überwiegend wasserdurchlässiger Asphalt bzw. Rasenfugenpflaster verwendet wird.“ Beim landschaftlichen Konzept setzt man auch auf Sickermulden, die vor Hochwasser schützen und im Sommer Verdunstungskühle abgeben.

60 Ultra-Schnellladestationen mit 300 kW

Von dem neuen Ladepark sollen Bürger und Unternehmen gleichermaßen profitieren, da es zum einen das Ziel der CO2-Neutralität vorantreibt und zum anderen den Weg für eine flächendeckende Elektromobilität in der aktuell noch unterversorgten Region ebnet. Für das Unternehmen selbst ist das Projekt „ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zum energieautarken Unternehmen“, wie es heißt. 

Mit der Realisierung kommt es insgesamt zu einem signifikanten Rückbau von versiegelten Flächen.

KAESER Ladepark Coburg

Auf einer Fläche von knapp 3,5 Hektar im Coburger Gewerbegebiet Nord sind an die 60 HPC-Ladestationen vorgesehen. HPC steht für High Power Charger, also eine ultraschnelle Ladeleistung, die in diesem Fall bei 300 kW liegt. Bei entsprechend dimensionierter Batterie lässt sich ein E-Auto damit in nur acht Minuten aufladen. Zudem sind auch vier Schnellladestationen für LKWs und 40 Stellplätze vorgesehen.

KAESER Ladepark Coburg, Waechter + Waechter Architekten, Holzbau
Der zweite Preis des Architekturwettbewerbs ging an das Büro Waechter + Waechter Architekten, das auf ein Raster aus Ladeschirmen und eine angrenzende Streuobstwiese setzt.

Die Tanke als Ausflugsziel

Ein intelligentes Stellplatzinformationssystem soll dafür sorgen, dass es sich beim Laden nicht staut. Sollte es dennoch zu Wartezeiten kommen, verspricht der Ladegarten samt Café-Shop, E-Bike-Leihstation und Kinderspielplatz einen kurzweiligen Aufenthalt. Die Fahrt zur Tanke könne dabei sogar zum familiären Wochenendausflug werden, wie es in der Aussendung heißt. 

„Grünraumketten führen die Nutzerinnen und Nutzer über eine barrierefreie Rampe auf die obere Ebene zu Dachterrassen und einem direkt anschließenden Parkareal. Dessen gartenhafter Charakter mit Kleinbäumen, Sitzgelegenheiten und einem Netzwerk aus attraktiven Spazierwegen lädt zum Erholen und Entspannen ein.“ 

Die beliebten Coburger Naherholungsgebiete Goldbergsee und Glenderwiesen sollen durch das Projekt außerdem besser angebunden werden. Da die Erschließung des Ladeparks nicht nur straßenbaulich erfolgt, sondern auch ein neues Netz an Fuß- und Radwegen entsteht, wird die Tankstelle zur inklusiven Destination, die allen Verkehrsteilnehmern offensteht.

Text: Gertraud Gerst
Visualisierungen: KAESER Ladepark Coburg

Mach die Welle!

Das Kilden Performing Arts Centre in der norwegischen Stadt Kristiansand ist eine Freiformkonstruktion aus Holz mit über 14.000 Einzelteilen. ALA Architects schafften eine Form mit dramatischer Geste – und konkreter Funktion.

In Norwegen ist man stolz auf Holz. Schon die Wikinger verfügten über umfassendes Holzbauwissen, was sie zu einer der reichsten und fortschrittlichsten Zivilisationen der Welt machte. Noch heute zeugen an die Tausend Jahre alte Stabkirchen davon, dass das Bauen mit Holz in der Kultur des Landes tief verwurzelt ist. Sieht man sich die Vegetation des nordischen Königreichs an, dann ist dies auch nicht sehr verwunderlich. Drei Viertel Norwegens sind nämlich von Wald bedeckt.

Kilden Performing Arts Center, Kristiansan, Norwegen, ALA Architects
Die Fassade von Kilden ist eine der spektakulärsten Holzkonstruktionen der Welt.

Auch heute im Zeitalter der modernen Holzwerkstoffe bildet Norwegen die Speerspitze des Holzbau-Booms. Das Holz-Hochhaus Mjøstårnet in Brumunddal mit einer Höhe von 85,4 Meter war das erste seiner Art und lange Zeit auch der höchste sogenannte „Plyscraper“ der Welt. Weitere spektakuläre Holzbauten sind die Bibliothek von Vennesla und der Finansparken in Stavanger, beides vom norwegischen Architekturbüro Helen & Hard. 

Eine Welle aus Holz

Ein wegweisender Holzbau, der bereits vor über zehn Jahren in der südnorwegischen Metropole Kristiansand eröffnet wurde, ist das Kilden teater og konserthus – Performing Arts Centre. Die Reisenden der Kreuzfahrtschiffe, die am Pier direkt gegenüber ankommen, werden seit 2012 von diesem monumentalen Wahrzeichen begrüßt. Mit seiner riesigen Welle aus Holz, die aus der Glasfassade zu brechen scheint, sorgt Kilden auch abseits seiner kulturellen Events für viel Aufsehen.

Die Wand aus CNC-gefrästen Massivdielen hat nicht nur einen theatralischen Effekt, sie verbessert auch die Akustik des Foyers.

ALA Architects, Architekturbüro
Detail, Kilden Performing Arts Center, Kristiansan, Norwegen, ALA Architects
Das Eichenholz verleiht dem großzügigen Foyer einen warmen, einladenden Charakter. 

Entworfen wurde es vom finnischen Büro ALA Architects, das gemeinsam mit den örtlichen SMS Architects an der Umsetzung arbeitete. Mit einer Gesamtfläche von 16.500 Quadratmetern beherbergt es unterschiedliche Räumlichkeiten für kulturelle Veranstaltungen, darunter einen Konzertsaal mit knapp 1.200 Sitzplätzen, eine Theater- und Opernbühne mit rund 750 Sitzplätzen, eine Mehrzweckhalle mit 400 Stehplätzen und einen Saal für kleinere Events.

Dramatische Geste mit akustischer Funktion

Das Narrativ der hölzernen Welle spiegelt sowohl den maritimen Bezug des Ortes wider als auch die wirtschaftliche Bedeutung des Holzes für die Stadt Kristiansand. Der Eingangsbereich bildet eine dramatische Geste, die das inhaltliche Programm des Gebäudes gebührend feiert. „Die monumentale abstrakte Form der Wand aus heimischer Eiche trennt Realität von Fantasie. Auf dem Weg hinein gelangt das Publikum von der Naturlandschaft in den Bereich der darstellenden Künste“, erklären die Architekten von ALA.

Anlegestelle, Kilden Performing Arts Center, Kristiansan, Norwegen, ALA Architects
Direkt vor dem Kulturbau befindet sich eine Anlegestelle des Hafens.

Die monumentale abstrakte Form der Wand aus heimischer Eiche trennt Realität von Fantasie. Auf dem Weg hinein gelangt das Publikum von der Naturlandschaft in den Bereich der darstellenden Künste.

ALA Architects, Architekturbüro

Das Eichenholz verleiht dem großzügigen Foyer einen warmen, einladenden Charakter. Die extravagante Form und die spezifische Ausführung haben zudem eine besondere Funktion, wie die Architekten schreiben: „Die Wand aus verkeilten CNC-gefrästen Massivdielen hat nicht nur einen theatralischen Effekt, sie ist auch ein haptisches Artefakt, das die Akustik des Foyers verbessert.“ Nach außen hin schafft das weit auskragende Dach zudem einen witterungsgeschützten Bereich am Kai.

Ursprünglich als Stahlkonstruktion geplant

Für Besucher tut sich hinter der Glasfassade eine weitläufige Eingangshalle auf, die sich über die gesamte Länge des Gebäudes zieht. Die geschwungene Freiformkonstruktion aus Holz schiebt sich bis ins Innere hinein und markiert mit ihrem Heben und Senken die Eingänge zu den unterschiedlichen Hallen. Die Holzkonstruktion war eine besondere Herausforderung, nicht zuletzt, weil sie ursprünglich als Stahlkonstruktion geplant war.

Kilden Performing Arts Center, Kristiansan, Norwegen, ALA Architects
In der Nacht beleuchtet das Gebäude von innen die Hafeneinfahrt.

„Eine besondere Herausforderung waren die verschiedenen Schnittstellen, die unterschiedlichen klimatischen Zonen sowie die grossen Lasten“, erklären die Ingenieure von Blumer Lehman, die mit dem komplexen Holzbau beauftragt waren. Im Vorfeld der Arbeiten erstellten die Ingenieure ein detailliertes 3D-Modell sowie ein Musterfassadenelement, mit dem sich der Kunde und der Generalunternehmer schließlich von der Machbarkeit in Holz überzeugen ließen.

Holzkonstruktion aus 14.309 Einzelteilen

Das 3D-Modell lieferte den Schlüssel für die reibungslose Montage der insgesamt 14.309 Einzelteile. Die besondere Form der Konstruktion definieren die 1.769 gekrümmten Brettschichtholzträger, die durch gerade Träger zu 126 Elementen verbunden wurden.

Kilden Performing Arts Center, Kristiansan, Norwegen, ALA Architects
Blick von innen nach außen: Der Kulturbau schafft ganz unterschiedliche räumliche Erfahrungen.

Mit insgesamt 895 Bolzen montierte man schließlich diese Bauteile an den Stahlträgern der Primärkonstruktion. 12.248 Eichenbretter bilden die äußere Fassade der Konstruktion.

Kilden hat sich nicht nur zum kulturellen Kraftwerk von Südnorwegen entwickelt, der markante Kulturbau ist auch eine Landmarke im industriellen Hafengebiet. Ein weiteres Aushängeschild, das für den norwegischen Holzbau die Welle macht.

Text: Gertraud Gerst
Fotos: Tuomas Uusheimo, Iwan Baan

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